Kiel auf dem Weg zu Zero Waste
Als erste Stadt Deutschlands hat sich Kiel auf den Weg gemacht hin zur Zero.Waste.City. Was braucht es, um diesen Weg erfolgreich zu beschreiten?
Bereits für den Beschluss, Zero.Waste.City werden zu wollen, bedurfte es verschiedener Voraussetzungen und Rahmenbedingungen. Sehr hilfreich ist das Zusammenspiel einer engagierten Öffentlichkeit, Verbänden und Initiativen sowie der Kommunalpolitik, die hinter dem Projekt steht. Für die Koordinierung des Vorhabens sollte eine zentrale Stelle etabliert werden, die das Verfahren am Laufen hält. In unserem Fall wurde die Stadtverwaltung beauftragt und ein engagiertes Team aus Abfallwirtschaftsbetrieb und Umweltschutzamt hat die Konzepterstellung vorangetrieben.
Finanzielle Ressourcen konnten wir aus der Klimaschutzförderung des Bundes erlangen und ExpertInnenwissen vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie einkaufen. Nachdem die Ratsversammlung dem Beschluss geschlossen zugestimmt hatte, konnte das Projekt entsprechend finanziell und personell ausgestattet werden. Dies ist natürlich eine wesentliche Rahmenbedingung für eine erfolgreiche Umsetzung. Von großer Bedeutung ist außerdem, dass die Ziele und Maßnahmen mit einer möglichst breiten Beteiligung zustande gekommen und diese ambitioniert aber auch realistisch sind.
Wie sind Sie bei der Konzeptentwicklung vorgegangen?
Im Rahmen der Konzepterstellung wurden Ziele in verschiedenen Handlungsfeldern und für verschiedene Zeiträume aufgestellt. Das Zero Waste-Konzept bildet neben den Zielen die Selbstverpflichtung der Landeshauptstadt ab, in dem über 100 Maßnahmen für die Vermeidung von Abfall zum Schutz der Ressourcen identifiziert wurden. Leitgedanke dafür ist die Abfallhierarchie mit dem obersten Ziel der Abfallvermeidung. Denn der beste Abfall ist der, der gar nicht erst entsteht.
Neben der Abfallvermeidung sollen auch die Wiederverwendung und das Recycling verstärkt in der Praxis Anwendung finden. Damit spiegeln sich die Zero Waste-Ziele auch in den nationalen Zielen der Kreislaufwirtschaft wieder. Die Unterstützung durch Regelungen auf EU- und Bundesebene stellen ebenso eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung dar. Um unsere Ziele zu erreichen, ist auch bei der Umsetzung die Mitwirkung aller KielerInnen ein weiterer wichtiger Bestandteil. Denn nur gemeinsam können die Abfälle im Stadtgebiet verringert und Ressourcen geschützt werden.
Sie haben es bereits gesagt: Ohne Mitwirkung anderer lässt sich ein solches Vorhaben nicht realisieren. Mit welchen Akteuren arbeiten Sie noch zusammen, um Kiel zur Zero.Waste.City zu machen?
Als ständige KooperationspartnerInnen sind wir in einem regelmäßigen Austausch mit dem Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel und dem Verein Zero Waste Kiel. Für die Zusammenarbeit mit Initiativen, Verbänden, Unternehmen, Bildungseinrichtungen etc. haben wir zudem ein Zero Waste Advisory Board gegründet, welches sich aus verschiedenen lokalen ExpertInnen zusammensetzt und den Kieler Prozess zur Zero.Waste.City begleitend steuern soll. Auf dieseWeise können wir Anknüpfungspunkte identifizieren und gemeinsame Projekte verwirklichen, um die Zielsetzungen der Selbstverpflichtung zu erreichen und das Bewusstsein für den Ressourcenschutz und die Abfallvermeidung zu erhöhen.
Ihr Hauptziel ist es, bis 2035 die Menge an Restabfällen auf durchschnittlich 85 Kilogramm pro Kopf und pro Jahr zu halbieren und die Gesamtabfallmenge um 15 Prozent pro Kopf und pro Jahr zu senken. Welche konkreten Maßnahmen wollen Sie dabei in den kommenden Jahren ergreifen?
Im Zero Waste-Konzept haben wir über 100 Maßnahmen gesammelt, die zur Erreichung der Zero Waste-Ziele beitragen sollen. Im Rahmen der Konzepterstellung wurden die Wirkungen der Maßnahmen in einer Potenzialanalyse abgeschätzt, so dass Maßnahmen ausgewählt wurden, die den größten Beitrag zur Abfallvermeidung und auch zur Bewusstseinsbildung leisten. Die Maßnahmen verfolgen dabei verschiedene Zielsetzungen. Diese gehen von der Reduzierung der Gesamt- und Restabfallmengen über die Kommunikation des Themas hin zur Bewusstseinsbildung und Motivierung zu Verhaltensänderungen.
Maßnahmen zur Reduzierung der Gesamtabfallmenge sind unter anderem eine ressourcenschonende, abfallarme Beschaffung, die Etablierung einer Plattform für Leihen, Tauschen, Teilen, Reparieren oder ein Mehrweggebot auf öffentlichem Grund. Zero Waste-Kampagnen in Großwohnanlagen, die Prüfung zur Einführung einer Wertstofftonne oder die Mülltrennung auf Events zählen zu den Maßnahmen, die die Restabfallmenge verringern sollen. Zur Kommunikation und Bewusstseinsbildung von Zero Waste zählen Maßnahmen wie Zero Waste-Beratungsangebote für Kieler Haushalte oder Mitmach-Aktionen wie ein Zero Waste-Wettbewerb für Firmen.
Welche Maßnahmen haben Sie bereits umgesetzt bzw. mit der Umsetzung begonnen?
In dem einstimmigen Beschluss des Zero Waste-Konzeptes vom November 2020 wurden bereits erste Maßnahmen für den Start der Umsetzung festgelegt. Dazu zählt die Erhöhung der Sichtbarkeit von Zero Waste, um das Thema bekannt zu machen. Dafür haben wir 2021 einen Zero Waste-Adventskalender umgesetzt, in dem mit wissenswerten Rätselfragen und Tipps über die Ressourcenschonung und Abfallvermeidung im Alltag informiert wurde. Für die Reduzierung der Abfallmengen wurde im Dezember 2021 eine Förderung für die Anschaffung von Stoffwindeln beschlossen, die in einem ersten Pilotzeitraum den Umstieg von Einweg- zu Stoffwindelsystemen unterstützen soll. In einer weiteren Maßnahme werden bis Frühjahr 2022 die Bio- und Restabfälle vom Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel analysiert, um Erkenntnisse über die Zusammensetzung zu erlangen und darauf aufbauend Maßnahmen zur Reduzierung von Störstoffen zu identifizieren.
Darüber hinaus wurde mit der Maßnahme „Förderprogramm und Etablierung von Zero Waste-Schulen“ begonnen, für die gemeinsam mit den Kieler SchülerInnen, Lehrenden und Interessierten Kriterien für Zero Waste-Schulen erarbeiten werden. Im Rahmen dieses Projektes wird zusätzlich die Maßnahme „Mülltrennung“ in allen Klassenräumen umgesetzt, da die Ausstattung mit einem korrekten Abfalltrennungssystem als Grundlage für die Etablierung von Zero Waste-Schulen dient. Des Weiteren wird unter anderem die Einführung eines Einwegverbots in allen städtischen Organisationseinheiten vorbereitet und die Einführung eines sogenannten Pay-as-you-throw Systems geprüft, welches ein Anreizsystem beschreibt, bei dem Haushalte eine Gebühr entsprechend der erzeugten Abfallmenge zahlen.
Bei der Entwicklung des Zero Waste-Konzepts haben Stadtverwaltung, Politik und Bürger intensiv zusammengearbeitet. Wie genau sah diese Zusammenarbeit aus?
Zwischen 2019 und 2020 wurden in sechs Veranstaltungen gemeinsam mit 450 KielerInnen über 665 Ideen gesammelt, die zum Zero Waste-Vorhaben beitragen. In Zusammenarbeit mit dem Wuppertal Institut und dem Zero Waste Kiel e.V. wurden diese Ideen und Maßnahmen sortiert, geclustert und einer Potential Analyse unterzogen. Zusammen mit einer Best-Practice-Recherche und einer Status-quo-Analyse wurden dann 18 sektorspezifische Ziele und 107 Maßnahmen in den Bereichen öffentliche Verwaltung, Abfallsystemumstellung, Haushalte, Bildungseinrichtungen, Gewerbe, Events und Handel identifiziert. Diese Ziele und Maßnahmen sind im Kieler Zero Waste-Konzept zusammengefasst und bilden die Grundlage für das Zero Waste-Vorhaben.
Wie bezieht die Stadt Kiel ihre Bürger bei der weiteren Umsetzung der Strategie mit ein?
In Kiel ist das Engagement und die Bereitschaft zur Vermeidung von Abfällen auch durch die bestehenden Klima- und Umweltschutzaktivitäten bereits sehr hoch. Dies konnten wir auch im ersten Jahr der Umsetzungsphase beobachten. Um die KielerInnen weiterhin einzubinden, möchten wir Zero Waste sichtbar machen und ein Bewusstsein für Abfallvermeidung und Ressourcenschutz schaffen. Seit Januar befindet sich dafür zum Beispiel die erste Zero Waste-Ausstellung im Kieler Einkaufszentrum Sophienhof, um die BürgerInnen auf spielerische Weise über die Möglichkeiten einer ressourcenschonenden Lebensweise zu informieren. Im Laufe des Jahres soll darüber hinaus eine Zero Waste-Haushalts-Challenge stattfinden, um die KielerInnen für Abfallvermeidung und Ressourcenschutz im Alltag zu begeistern. Neben dem Zero Waste Advisory Board sollen die Entwicklungen und Fortschritte auch in einer jährlichen öffentlichen Zero Waste-Veranstaltung und einem Jahresbericht kommuniziert werden, um die BürgerInnen einzubeziehen und zu informieren.
Kiel zeichnet sich vor allem durch die Nähe zur See und seinen Hafen aus. Dieser soll bis 2030 klimaneutral werden. Wie kann das gelingen?
Als Stadt am Meer ist das Bewusstsein der KielerInnen für Klima- und Meeresschutz besonders hoch. Das Unternehmensziel der Seehafen Kiel bis 2030 Klimaneutralität zu erreichen, freut uns sehr. Dafür hat sich der Seehafen Kiel verschiedene Ziele in unterschiedlichen Bereichen gesetzt. So sollen viele CO2-Emissionen durch die Nutzung von Landstromanlagen, Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Immobilien und die Umstellung auf LED-Beleuchtung gespart werden. Die Einsparungen wirken sich damit auch positiv auf die CO2-Bilanzierung der Klimaschutzstadt aus und verdeutlichen das große Einsparpotential von Häfen. Das Zero Waste-Konzept bezieht sich auch mit einer Maßnahme auf die Abfallmengen, die beim Betrieb von Fähren und Kreuzfahrtschiffen anfallen. In Zusammenarbeit mit dem Abfallwirtschaftsbetrieb soll die Abfalltrennung optimiert und die Abfallvermeidung in Seehäfen gefördert sowie eine Beratung für Kreuzfahrtschiffen zur Abfallvermeidung angeboten werden.
Was würden Sie anderen Kommunen raten, die auch Zero Waste-Stadt werden wollen?
Auf dem Weg zur Zero.Waste.City bildet die Einbeziehung der Stadtgesellschaft einen entscheidenden Bestandteil. Die frühzeitige Einbindung in die Planungen und Ideenentwicklung fördert nicht nur die Akzeptanz, sondern auch die Motivation in der Bevölkerung. Ressourcenschutz und Abfallvermeidung sind ebenso wie Klimaschutz Themen, die nur zusammen erreicht werden können. Das gemeinsame Sammeln von Ideen und Anknüpfungspunkten ist dabei ebenso wichtig wie die gemeinschaftliche Umsetzung von Projekten. Ein regelmäßiger Austausch mit AkteurInnen aus den verschiedenen Sektoren verhilft den einzelnen Projekten zu Erfolg und trägt Zero Waste in die Netzwerke der Stadtgemeinschaft.
Vielen Dank!