Die Dächer von insbesondere Einfamilienhäusern haben ein enormes, oft ungenutztes Potenzial: Mit PV-Anlagen und passenden Speichern ausgestattet, könnten über 50 Prozent dieser Gebäude – nicht nur in Deutschland, sondern europaweit – vollständig energieautark werden. Das zeigte eine Studie des „pv magazine International“ bereits 2023, durchgeführt von einem Forschungsteam des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des Forschungszentrums Jülich, der ETH Zürich und des Paul Scherrer Instituts (PSI). Mithilfe von Hochleistungsrechnern und neuronalen Netzen analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr als 4.000 Gebäudetypen. Ihre Berechnungen belegen, dass durch die Kombination von Solaranlagen, Kurzzeitspeichern und saisonaler Wasserstoffspeicherung Millionen Haushalte unabhängig vom Stromnetz werden könnten.
Von Münster bis Gütersloh: Deutschlands Solarhauptstädte
Städte wie Münster, Essen, Oldenburg und Gütersloh – seit 2022 mehrfach als Solarhauptstädte ausgezeichnet – veranschaulichen, wie konsequent kommunale Strategien den Photovoltaik-Ausbau voranbringen können. Ihr Erfolg beruht auf einer Kombination aus Förderprogrammen, umfassender Bürgerinformation und digitalen Hilfsmitteln. Hinzu kommen vereinfachte Genehmigungsverfahren und eine enge Zusammenarbeit mit den örtlichen Stadtwerken.
Münster
Münster beispielsweise bietet Hauseigentümerinnen und -eigentümern ein Pachtmodell der Stadtwerke, das Finanzierung, Installation und Wartung von PV-Anlagen abdeckt. Nutzer zahlen lediglich eine monatliche Pacht, ohne sich selbst um die Umsetzung kümmern zu müssen. Über ein von der Stadt bereitgestelltes digitales Solarkataster lässt sich prüfen, ob das eigene Dach für eine PV-Anlage geeignet ist. Ergänzend bietet die Kommune kostenlose Energiesprechstunden an. Auch bürgerschaftliches Engagement wird gefördert, zum Beispiel durch sogenannte „Solarpartys“, bei denen sich Interessierte in privatem Rahmen austauschen und Gastgeberinnen und Gastgeber finanzielle Unterstützung erhalten. Der Anschluss der Anlage erfolgt schließlich papierlos über ein Online-Portal der Stadtwerke.
Essen
Essen setzt auf eine Kombination aus finanzieller Förderung, Beratung und Öffentlichkeitsarbeit. Seit April 2025 gewährt die Stadt Zuschüsse für PV-Anlagen, Stecker-Solargeräte und solarthermische Systeme mit pauschalen Beträgen von mehreren Tausend Euro. Beim städtischen „KlimaTreff“ erhalten Bürgerinnen und Bürger kostenlose Beratung. Parallel arbeitet die Stadtverwaltung an der Vereinfachung von Bewilligungsverfahren. Auch auf eigenen Liegenschaften setzt die Kommune auf Sonnenenergie:
Die Essener Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH (EVV) betreibt bzw. plant im Rahmen einer Solar-Offensive 37 PV-Anlagen auf öffentlichen Gebäuden, darunter ein Museum, ein Solar-Carport sowie Schulen und Kitas, und auf über 220 Gebäuden der kommunalen Wohnungsgesellschaft Allbau. Der Erfolg spricht für sich: Die Stadt erreicht inzwischen einen sogenannten Solarfaktor von 138 Prozent. Das bedeutet, dass hier bereits mehr als die rechnerisch ideale Menge an Solarstrom erzeugt wird.
Oldenburg
Oldenburg bietet Eigentümerinnen und Eigentümern über den „Oldenburger Solar-Check“ eine geförderte Erstberatung zur Wirtschaftlichkeit geplanter PV-Anlagen. Zwei Drittel der Kosten übernimmt die Stadt. Altanlagen, deren EEG-Förderung ausgelaufen ist, werden bei der Umrüstung auf Überschusseinspeisung durch die Übernahme der Zählerkosten und Zuschüsse von bis zu mehreren Hundert Euro unterstützt. Ein besonderer Fokus liegt zudem auf öffentlichen Einrichtungen: Für Kitas hat Oldenburg 2025 ein eigenes Förderprogramm gestartet, bei dem die Stadt 100 Prozent der Energiekosten trägt, um den Eigenverbrauch durch PV-Anlagen zu fördern. Ergänzend steht ein digitales Solarkataster mit über 5.500 geeigneten Dachflächen zur Verfügung.
Gütersloh
Dass der Photovoltaik-Ausbau kein rein großstädtisches Thema ist, beweist Gütersloh: Die Stadt ist mit 59,59 Solaranlagen pro 1.000 Einwohnern Deutschlands Solarhauptstadt 2025. Auch hier bietet ein kreisweites Solardachkataster eine erste Einschätzung zur Solareignung von Dachflächen. Zudem gibt es kostenfreie telefonische Energieberatungen für Hausbesitzerinnen und -besitzer. Seit mehreren Jahren gehört Gütersloh zu den Spitzenreitern im bundesdeutschen „Wattbewerb“ und zeigt, dass auch kleinere und mittlere Kommunen eine zentrale Rolle in der Energiewende spielen können.
Strategiewechsel auf Bundesebene
Vor dem Hintergrund der aktuellen Pläne der neuen Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche gewinnt das Engagement der Solarhauptstädte zusätzlich an Bedeutung. Reiche hat kürzlich deutlich gemacht, dass der Ausbau der Photovoltaik allein nicht mehr im Zentrum der Energiepolitik stehen werde. Stattdessen wolle sie die Ziele der Energiewende stärker an wirtschaftlicher Machbarkeit und Versorgungssicherheit ausrichten. Dabei hatte sie eine Vollversorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien infrage gestellt. Der Erfolg der Energiewende werde sich nicht nur an der Zahl der installierten PV-Anlagen messen, so Reiche, sondern an einem ausgewogenen Zusammenspiel aus Erneuerbaren, Speichern, Netzen und flexiblen Kraftwerken.
Städte wie Münster, Oldenburg oder Gütersloh setzen also ein starkes Zeichen: Auch wenn sich die Bundesstrategie verändert, bleibt der Ausbau von Photovoltaik auf lokaler Ebene ein wichtiger Treiber der Energiewende.