Hochspannungsleitungen und Strommasten unter blauem Himmel mit Sonne @nt@AdobeStock
Energie 4. November 2025

Stadtwerke zwischen Transformationsdruck und Versorgungssicherheit

Die Stadtwerke spielen in der Energiewende eine zentrale Rolle: Sie tragen Sorge dafür, dass künftig klimafreundliche Energie in Haushalten und Betrieben ankommt. Die zahlreichen Herausforderungen dieser Transformation haben sie neben ihrer Kernfunktion als sicherer Energieversorger in Städten und Kommunen zu meistern. – Ein Spagat, bei dem Innovationsgeist, Kooperationswille und nicht zuletzt die Politik gefragt ist.

Wenn die Stadtverwaltung Gehirn und Nervensystem einer Kommune bildet, sind die Stadtwerke sozusagen Herz, Lunge und Blutkreislauf in einem. Die Energieversorgung ist die Grundlage aller kommunalen, privaten und wirtschaftlichen Aktivität. Mittlerweile besteht jedoch die Aufgabe der Stadtwerke nicht mehr allein darin, diese essenzielle sicherzustellen. Es geht auch um die „richtige“ Art und Weise. Im Jahr 2025 bedeutet das, die Energieerzeugung mittel- und langfristig so weit wie möglich zu dekarbonisieren.

Im Bereich der Strom- und Wärmeversorgung sind die lokalen Versorgungsunternehmen der wichtigste Agent der . Diese notwendige Transformation bedarf jedoch finanzieller und personeller Ressourcen, die nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, was wiederum vielfach zu Zielkonflikten mit der Versorgungssicherheit führt. Hinzu kommen immer neue Vorschriften und bürokratische Hürden, die in der Theorie einer nachhaltigeren Energieversorgung dienen sollen, letztlich aber das Gegenteil bewirken: Sie hemmen die Handlungsfähigkeit der Stadtwerke zusätzlich. Zugleich führt fortdauerndes Mikromanagement in der Gesetzgebung zu Planungsunsicherheit, die Zukunftsinvestitionen erschwert und das Ziel der Umstellung auf eine klimaneutrale Energiewirtschaft unterläuft. Kurzum: Die zahlreichen Anforderungen an die Stadtwerke drohen zur Überforderung zu werden. Dennoch finden sich immer wieder Beispiele, in denen es ihnen durch Innovationsgeist, Weitsicht und kluge strategische Kooperationen gelingt, die Dekarbonisierung voranzutreiben.

Regulatorische Rahmenbedingungen: Zu viel, zu schnell

In der aktuellen Stadtwerkestudie 2025 von BDEW (Bundesverband der Energie- und e. V.) und EY (Ernst & Young) wurde das vergangene Geschäftsjahr so schlecht bewertet wie keines davor seit Bestehen der Studie. Das ist der negativste Jahresrückblick in 20 Jahren. Der Grund: 2024 trafen in extremer Weise transformative politische Impulse auf begrenzte finanzielle Spielräume. Einerseits sollten neue Regularien wie die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) oder die Gasbinnenmarktrichtlinie erfüllt werden. Andererseits galt es, die Versorgungssicherheit unter gleichzeitiger Einhaltung der Energiepreisbremse zu gewährleisten – eine denkbar ungünstige Kombination.

Derart verfahren war die Situation zwar selten, doch hat sich 2024 letztlich nur ein Problem zugespitzt, mit dem die Stadtwerke dauerhaft zu kämpfen haben. „Das politische Bedürfnis nach Überregulierung steht der Bewältigung der Aufgaben, die für die Transformation der Energiewirtschaft notwendig sind, diametral entgegen“, erklärt Kerstin Andreae, Vorsitzende Hauptgeschäftsführung und Mitglied des Präsidiums BDEW. Laut einer schriftlichen Antwort des Bundestags vom 4. März 2024 gelten über 15.500 Einzelnormen (Paragraphen und Artikel aus verschiedenen Rechtstexten) für die Energiewirtschaft – das sind 16 Prozent aller Bundesnormen. Das spezifische Energierecht, mit seinen Unterthemen Handel und Versorgung, Energieeffizienz, Wärme, und vor allem Netzregulierung, umfasst allein etwa 2.750 Paragraphen und Artikel.

Diese Last gesetzlicher Regulierung liegt schwer auf der Energiewirtschaft. Für kaum eine Branche ist der Erfüllungsaufwand (die Kosten für die Befolgung rechtlicher Vorschriften) so hoch. Daten des Statistischen Bundesamts zufolge lag dieser 2024 bei 8,2 Milliarden Euro im Jahr – fast ein Zehntel der 89 Milliarden Euro, die die Gesamtwirtschaft zu tragen hatte. 57 Prozent davon gehen auf Vorgaben der EU zurück. 1,5 Milliarden Euro, also etwa ein Fünftel des Erfüllungsaufwands, sind reine Bürokratiekosten. Der bürokratische Aufwand für die Energiewirtschaft (2019 noch 685 Millionen Euro) hat sich damit innerhalb von fünf Jahren mehr als verdoppelt.



Problematisch ist jedoch nicht bloß der enorme Erfüllungsaufwand, sondern auch dass sich diese Gesetze und Normen immer wieder in kurzen Zeiträumen ändern. Allein das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) blickt auf 56 Änderungen seit dem Jahr 2000 zurück. Sieben Mal wurde es umfassend novelliert. Dabei wuchs es von ursprünglich zwölf auf 200 Paragraphen im Jahr 2021 an. Immerhin ist das Gesetz aufgrund des Wegfalls der 2023 auf 167 Paragraphen geschrumpft, bleibt damit allerdings ein erfreulicher Einzelfall. Die unerfreuliche Regel sind häufige Gesetzesänderungen, die dazu führen, dass sichere Rahmenbedingungen für Zukunftsinvestitionen fehlen. Kerstin Andreae: „Das Mikromanagement durch Gesetzgeber und Regulierungsbehörden (…) ist meiner Meinung nach der größte Pain Point für die Energiewirtschaft. Aufgabe des Gesetzgebers ist es, einen Rahmen vorzugeben, der von der Bundesnetzagentur gegebenenfalls weiter konkretisiert wird.“ Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigten hingegen, dass die Vorgaben einen Detaillierungsgrad erreicht hätten, der den Gestaltungsspielraum der Stadtwerke übermäßig einschränke.

Technologische Möglichkeiten und Best-Practice-Beispiele

Allen schwierigen politischen Bedingungen und Unsicherheiten zum Trotz gibt es dennoch immer wieder Stadtwerke, die zeigen, wie der Spagat zwischen Transformation und Versorgungssicherheit gelingen kann.

In Münster etwa haben sich die hiesigen Stadtwerke mit der LBBW zusammengetan, um die Erneuerbaren Energien weiter auszubauen. Dies betrifft sowohl die Strom- als auch Wärmeversorgung: Bis 2030 sollen 280 Gigawattstunden jährlich aus Windenergie kommen. Ferner sollen 30 Prozent des Fernwärmebedarfs mit nachhaltigen Quellen gedeckt werden. Die LBBW lässt hierfür insgesamt 225 Millionen Euro fließen. Daneben setzen die Stadtwerke Münster auf Kooperationen mit (weiteren) lokalen Versorgern, Flächeneigentümerinnen und -eigentümern sowie Bürgerinnen und Bürgern. Letztere werden etwa bei Windenergie- und Photovoltaikprojekten über Nachrangdarlehen beteiligt. Dies betrifft zunächst Menschen, die ortsnah wohnen, nach einer Weile jedoch auch andere Gruppen wie die Ökostromkundschaft der Stadtwerke. Derartige Bürgerbeteiligungen sind häufig bereits ab 500 Euro möglich. So verteilen sich die Investitionskosten für die Energiewende auf möglichst viele Schultern.


In Kiel kooperieren die Stadtwerke schon länger mit der Müllverbrennung Kiel GmbH, indem sie die Energie aus der Abfallverbrennung als nutzt. 2027 will der kommunale Versorger diese Kooperation mit einer Wärmeproduktion aus Klärschlammverbrennung ausbauen. Ein Jahr später soll zudem die erste Großwärmepumpe samt weiterem Wärmespeicher ans Netz gehen. Beides ist Teil eines Acht-Punkte-Programms, mit dem die Stadtwerke Kiel – eine ÖPP der Landeshauptstadt Kiel und der MVV Energie AG – ein ambitioniertes Ziel verfolgen: eine vollständig klimaneutrale Strom- und Wärmeerzeugung bis 2035. Einer der ersten Schritte hierzu war die Inbetriebnahme des Küstenkraftwerks, das seit 2019 das alte Kohlekraftwerk ersetzt. Das wasserstofffähige (H2-ready) Gaskraftwerk versorgt per Kraft-Wärme-Kopplung über 73.000 Haushalte mit Elektrizität und Wärme und erzeugt dabei schon jetzt 70 Prozent weniger CO2 als sein Vorgänger.


Auch unter den kleineren Kommunen gibt es Musterbeispiele in der Dekarbonisierung. Die Stadtwerke Bad Salzuflen sind so ein Fall. Mit 40 Millionen Euro investieren sie 2025 so viel wie noch nie in eine zukunftsfähige Energieinfrastruktur. Unter anderem soll ein neues Umspannwerk für den Ausbau von Wärmepumpen, E-Mobilität und Solaranlagen errichtet sowie eine 3.000 Meter lange neue Fernwärmeleitung geschaffen werden. Auch die PV-Anlage in Lockhausen wird um vier Megawatt erweitert. Darüber hinaus erhält die Stadt ein Stück innovative, nachhaltige Energietechnologie: Ein Heizkraftwerk, das mithilfe einer Großwärmepumpe die Restwärme von geklärtem Abwasser nutzt. Damit handelt es sich um einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zur geplanten komplett grünen Wärmeversorgung bis 2038.

In Oberbayern haben sich 15 Kommunen mit dem E-Werk Tegernsee und der Energie Südbayern (ESB) zusammengetan, um eine neue gemeinsame Energiegesellschaft zu gründen. Gemäß dem Motto „Zusammen ist man stark“ wird sich die „Energie Miesbacher Land“ ab 2026 Projekten zur erneuerbaren Energieerzeugung in der Region widmen. Gleichsam wird die Gesellschaft den Vertrieb von an Privathaushalte, Gewerbe und kommunale Einrichtungen übernehmen. Die Kommunen halten in dieser Öffentlich-Privaten Partnerschaft 55 Prozent der Anteile, während ESB mit 26,6 und das E-Werk Tegernsee mit 17,9 Prozent beteiligt sind.

Wie die Energiewende gelingen kann

Wie die Best-Practice-Beispiele zeigen, gibt es nicht die eine Lösung, die für alle Stadtwerke passt, um den Herausforderungen der Energiewende zu begegnen. Einerseits spielt eine Offenheit für innovative Technologien wie etwa die Nutzung von Restwärme aus Klärwasser eine wichtige Rolle. Andererseits verdeutlichen fast alle Beispiele, dass Kooperationen zum Erfolg führen können, sei es nun mit einem geeigneten Geldgeber, den eigenen Bürgerinnen und Bürgern, anderen Kommunen oder privatwirtschaftlichen Partnern über die Gründung einer ÖPP. Die Voraussetzungen für die Transformation sind in jeder Stadt und Gemeinde anders. Dementsprechend müssen die Mittel und Möglichkeiten innerhalb der gegebenen Strukturen vor Ort erfasst, abgewogen und letztlich genutzt werden.

Wie die Stadtwerkestudie 2025 vor Augen führt, ist jedoch insbesondere die Politik als Mitspieler gefragt, wenn die Stadtwerke in der Breite ihrem Auftrag zur Dekarbonisierung gerecht werden sollen. In der Studie „Kommunen als zentrale Umsetzungsinstanz einer erfolgreichen Energiewende“ hat die Deutsche Energie-Agentur (dena) analysiert, wie sich verschiedene Prozesse für besagte Umsetzung optimieren lassen. Hierfür wurden drei Gutachten zu unterschiedlichen Bereichen erstellt:

  • kommunale Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen,
  • Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsprozesse im Gebäudebereich,
  • rechtliche Anforderungen für kommunale Energiewende- und Klimaschutzaufgaben.

Aus ihrer Analyse leitet die dena diverse Handlungsempfehlungen ab, die sowohl den Gesetzgeber als auch die Kommunen selbst betreffen. An oberster Stelle nennt sie einen Bund-Länder-Dialog, der die Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen neu ausrichtet und die Realitäten vor Ort in der Gesetzgebung besser berücksichtigt. Gleichsam sollte mit einem „Kommunale-Realisierbarkeit-Check“ die Umsetzbarkeit von Vorgaben kritisch überprüft und Maßnahmen zur Entbürokratisierung identifiziert werden. Insgesamt ist eine flexiblere Gestaltung von Top-down-Vorgaben gefragt, um den Stadtwerken einen größeren Handlungsspielraum für die Umsetzung zu gewähren. Die Studienautorinnen und -autoren bringen hier etwa kommunale Experimentierklauseln oder die Einführung eines Innovationsbonus ins Spiel, um innovative Ansätze zu stärken. Auch hiermit werden die individuellen Gegebenheiten vor Ort besser adressiert. Zudem sollten Förderprogramme die Gründung regionaler Energie- und Wertschöpfungsagenturen unterstützen.

Nicht zuletzt empfiehlt die dena die Einführung einer Plattform „Lokale Energie“, in der sich Stadtwerke mit anderen relevanten Akteuren der Energiewirtschaft vernetzen. Auch dies verdeutlicht einmal mehr: Die Energiewende gelingt nur gemeinsam.

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