Wassergewächshaus im ALGENWERK der PUEVIT GmbH, Dresden ALGENWERK c/o PUEVIT GmbH
Allgemein 2. Juli 2024

Das Potenzial von Mikroalgen: „Wir holen das Meer in die Stadt“

Seit 2022 ist Gunnar Mühlstädt Geschäftsführer von Algenwerk, das in Dresden Hellerau die Mikroalge Spirulina in komplexen Rohrsystemen züchtet. Im Interview erfährt Klimaschutz Kommune, ob und wie Mikroalgen unter anderem zur Daseinsvorsorge in Kommunen beitragen können.

Lieber Herr Mühlstädt, erklären Sie uns bitte, welches Konzept hinter Algenwerk steckt?

Algenwerk ist eine Marke, die sich auf die Produktion und Nutzung von Mikroalgen spezialisiert hat, um mit Ingenieuren an einer enkeltauglichen Zukunft zu arbeiten. Hinter Algenwerk steckt im Wesentlichen ein Franchisekonzept, mit dem wir Menschen gewinnen wollen, Algen wirtschaftlich zu produzieren. Mithilfe innovativer und nachhaltiger Technologien wollen wir es diesen Menschen möglichst einfach machen, indem sie gut funktionierende Anlagen aus Rohrsystemen erhalten, die von der PUEVIT GmbH gebaut und betreut werden.

Die PUEVIT GmbH gibt es seit März 2022. Sie ist quasi die Mutter des Algenthemas und gehört zur Unternehmensgruppe des österreichischen Gesellschafters Alfred Pürstinger. Algenwerk haben wir als Marke innerhalb der PUEVIT GmbH für den Auftritt gegenüber Endkunden ins Leben gerufen, um den direkten Vertrieb unserer produzierten Algen zu ermöglichen. Wir wollen mit unserem Projekt den Diskurs anregen. Das, was wir machen, ist etwas völlig Neues. Den meisten Menschen ist es nämlich nicht bewusst, was der Anbau von Algen mit in ihrer Stadt zu tun haben kann.

Ein Wassergewächshaus aus Rohrsystemen – Algen sind effektive CO2-Senken

Und wie bringen Sie die Alge in die Stadt?

Indem wir Anlagen bauen, in denen die Alge im urbanen Raum wachsen kann.
Heute stammt schon jedes zweite Sauerstoffmolekül, das wir atmen, aus Algen. Nicht aus unseren Anlagen natürlich, sondern aus den Weltmeeren. Die meisten Flächen auf unserer Erde sind Wasserflächen, und diese sind die größte CO2-Senke, die wir überhaupt auf der Welt haben. Wenn sich die Algen von CO2 ernähren, dann entsteht durch Photosynthese Sauerstoff. Die Weltmeere sind demnach der größte Sauerstofflieferant den wir haben und im Gegenzug, dank der Algen auch der größte CO2 Verbraucher. Unser Ansinnen ist es, diese Riesenressource einfach zu nutzen. Wir holen quasi das Meer in die Stadt und bauen in einem ganz natürlichen Habitat – ohne Chemie und Pflanzenschutzmittel – dieses Meer im Rohr einfach nach.

Wie genau funktioniert eine Algenanlage von PUEVIT?

Eine Algenanlage besteht aus einem zusammenhängenden Rohr, das mit Wasser gefüllt ist und in dem Mikroalgen heranwachsen. Diese sind, im Vergleich zu Makroalgen so klein, dass man nur ihre grüne Farbe sieht. Durch künstliches Licht binden sie CO2 in Biomasse und produzieren ganz nebenbei Sauerstoff. Geerntet werden die Algen mithilfe eines Filters. So können innerhalb von drei Tagen aus den zwei Kilometer langen Rohrsystemen bis zu 100 Kilogramm Frischalgen gewonnen werden. Das ist bisher einzigartig, weil die Algen quasi noch lebendig sind. Alle pflanzlichen Sekundärstoffe, die antioxidativ und antiviral wirken, sind in der so gewonnenen Frischalge noch vorhanden. Im Prinzip gestalten wir in unseren Rohren also ein Schlaraffenland für Algen. Und das schaffen wir allein mit Hilfe von künstlichem Licht, Wasser und CO2.

Urbane Flächen als Lebensraum für Algen

Wo lassen sich Rohrsysteme für die Algenzucht errichten?

In Berlin hat die MINT Engineering vor ein paar Jahren Rohrsysteme mit Algen an den Fassaden der Campus-Gebäude des EUREF-Campus installiert. Unser Ausgangspunkt dort war es, diese Flächen mitten im urbanen Raum zu nutzen, um Lebensmittel zu produzieren. Normalerweise nutzt man Fassaden eher dazu, elektrische Energie zu gewinnen, indem man eine o. Ä. anbringt. Wir reden heutzutage über Urban-Farming-Themen und versuchen, Möhren auf Gebäuden zu kultivieren. Das ist nett, aber ein Rohrsystem mit Algen an einer Häuserwand, an einer Bushaltestelle oder auf einer Brachfläche ist viel unkomplizierter, flexibler und effizienter.

Dezentral und regional Algen produzieren

An welchen Standorten konnten Sie außerdem die Algenanlagen installieren?

Bisher haben wir unsere Anlagen nur in Berlin und Dresden aufgebaut. Aber weitere Standorte sind in Planung. Wir sind derzeit dabei, das Konzept von Algenwerk als Franchise zu etablieren, da wir dezentrale Produktionsstätten anstreben und unbedingt regional produzieren wollen. Hierfür sprechen wir im Moment vor allem Landwirte an, da diese deutlich unter Druck stehen. Zum einen durch den , der die Bewirtschaftung der ursprünglichen Flächen teilweise unmöglich macht und große Ernteeinbußen hervorruft. Zum anderen, weil die Tierhaltung größtenteils nicht mehr rentabel ist, da weniger Fleisch gekauft wird. Ungenutzte Flächen oder alte Ställe bieten ein gutes Potenzial zur Algenproduktion.

Welche konkreten Möglichkeiten der Umsetzung haben Kommunen?

Eine solche Fläche könnte aber auch eine Fläche oder ein Gebäude im urbanen Raum sein, das nicht mehr genutzt wird. Ich spreche da von Lagerhallen, Kellern, Parkplätzen oder Bushaltestellen. Einerseits können Kommunen selbst Betreiber einer Algenanlage sein, wobei ich jedoch gut nachvollziehen kann, wenn eine Stadt das nicht unbedingt will. Daher wäre es andererseits möglich, dass die Kommunen lediglich die Flächen bzw. Gebäude zur Verfügung stellen und wir gemeinsam nach einem Betreiber suchen, der dann mitten im urbanen Raum Algen produziert.

Die Alge als Rohstofflieferant

Welche potentiellen Einsatzfelder und Anwendungsbereiche gibt es für Algen?

Wir von Algenwerk verstehen Algen in erster Linie als Rohstofflieferanten mit dem Fokus auf Lebensmittel sowie die Kosmetikbranche. Es handelt sich hierbei um eine ganz bestimmte Alge mit einer ganz bestimmten Rezeptur – die Spirulina. Die Algenmasse verkaufen wir dann frisch an verschiedenste Partner, die daraus z. B. veganes Eis, veganen Frischkäse oder Pizzateig herstellen.
Es ist aber auch möglich, mit Algen lebendige Baumaterialien herzustellen, sogenannte „Living Building Materials“. Dabei dient die Alge als Werkzeug, den Kalk in Mikrostrukturen ausfallen zu lassen und unter Zugabe von Hanf daraus Ziegelsteine herzustellen. Wir testen dieses Anwendungsfeld gerade in einem Forschungsprojekt „BioKalkHanfStein“ mit dem Fraunhofer IKTS (Institut für Keramische Technologien und Systeme) und das funktioniert bereits erstaunlich gut.

Perspektivisch kann Algenwerk aber auch Biokraftstoff herstellen, wenn das wirtschaftlich sinnvoll ist, oder andere Algen produzieren, aus denen man beispielsweise Carbon gewinnen kann, der zukünftig den Stahl im Beton ersetzt. Die PUEVIT GmbH widmet sich intensiv der Erforschung sämtlicher Entwicklungsprozesse dieser Art und ist stets auf der Suche nach neuen Anwendungsbereichen.

Abwasserreinigung mit Algen

Welche Bereiche der können von den Fähigkeiten der Algen profitieren?

Wir haben auf dem Berliner Campus zum Beispiel mithilfe von Algen gereinigt, um zu zeigen, dass das technologisch möglich ist. Bei diesem Anwendungsbereich ist grundsätzlich immer die Frage, welchen Stoff man eigentlich aus dem Abwasser herausfiltern möchte. Handelt es sich hierbei beispielsweise um Schwermetalle, ist die Alge für solche Zwecke besonders gut geeignet, da das Chlorophyll eine sehr hohe Affinität hat, Schwermetalle zu binden.

Die Rückgewinnung von aus Abwasser ist in diesem Zusammenhang außerdem ein wichtiges Thema. Phosphatentfernungsprozesse sind in Kläranlagen daher von entscheidender Bedeutung. Da neben Stickstoff Phosphat eines der wichtigsten Makronährstoffe der Algen ist, kann man das Phosphat auch über Algen auswaschen. Man erzeugt auf diese Weise viel Biomasse, in der Phosphat gebunden ist und mit ihr wieder einen spannenden Rohstoff, dessen natürliches Vorkommen endlich ist. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Alge im Reinigungsprozess ein vielseitiges Instrument ist, das auch zur Gewinnung neuer Rohstoffe beiträgt.

Power to Food Strategie

Fallen Ihnen noch weiter Anwendungsbereiche für die Daseinsvorsorge ein?

Ein weiterer Bereich wäre der Energiesektor. Wir kennen Maßnahmen wie Power-to-Heat und Power-to-. Unser Ansatz heißt Power-to-Food, denn wir speichern elektrische Energie in Form von Lebensmitteln. Zwar benötigen unsere Algen elektrische Energie zum Wachsen, doch ihr großer Vorteil ist ihre naturgegebene Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Lichtintensitäten. Das ermöglicht uns, die Beleuchtung in den Anlagen flexibel ein- und auszuschalten, wodurch wir ein netzdienlicher industrieller Verbraucher sind. Denn überschüssige Energie, die an besonders windigen oder sonnigen Tagen im Netz nicht aufgenommen werden kann, wird als Biomasse gespeichert. Algenwerk bietet somit eine interessante Möglichkeit, erneuerbare Energien effizient zu nutzen, indem wir sie in Form von Lebensmitteln oder anderen Rohstoffen speichern.

Abschließende Frage: Wie sieht für Gunnar Mühlstädt die Stadt der Zukunft aus?

In der Stadt der Zukunft gibt es aus meiner Sicht keine ungenutzten Flächen mehr und wir sehen keine LKW mehr in der Stadt, weil wir alles, was wir konsumieren, möglichst vor Ort produzieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dresden, Stadt

Zur Kommunenseite
Bundesland Sachsen
Einwohner 554.649 m: 276.729, w: 277.920
Größe 328.48 km²
1689 Einwohner je km²
Merkmale Großstädte und Hochschulstandorte mit heterogener sozioökonomischer Dynamik
Gunnar Mühlstädt, Geschäftsführer der PUEVIT im Algenwerk Dresden

Gunnar Mühlstädt

  • seit 2022 Geschäftsführer PUEVIT GmbH
  • bis 2021 Geschäftsführender Gesellschafter MINT Engineering
  • bis 2015 Verkaufsleiter Georg Fischer Piping Systems
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