Planetare Gesundheitspolitik in der Klimakrise
Liebe Frau Voss, warum braucht es ein Zentrum für planetare Gesundheitspolitik?
Das Centre for Planetary Health Policy (CPHP) wurde Ende 2021 von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V. (KLUG) gegründet, um die wissenschaftliche Politikberatung an der Schnittstelle globale Umweltveränderungen und Gesundheit proaktiv voranzutreiben und planetare Gesundheit ganz oben auf der politischen Agenda zu verankern. Es mangelt heute nicht mehr an Wissen über die Klimakrise und ihre desaströsen Gesundheitsfolgen. Was fehlt, ist aber die Umsetzung in effektive politische Maßnahmen, die die Dringlichkeit der sozial-ökologischen Transformation anerkennen und Gesundheit aktueller und zukünftiger Generationen innerhalb planetarer Grenzen angemessen schützen und fördern. Aus diesem Grund steht der Thinktank politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern bei der Übersetzung ebendieser wissenschaftlichen Erkenntnisse in wirkungsvolle politische Programme zur Seite.
Planetare Gesundheitspolitik: Schaden für Mensch und Umwelt verringern
Planetare Gesundheitspolitik hat laut CPHP den Anspruch, dass politische Entscheidungen ausschließlich mit dem Ziel getroffen werden, Schaden für Mensch und Planet zu minimieren. Müssen politische Entscheidungen nicht vielfältigen Zielen folgen?
Politische Entscheidungen sind durch viele Faktoren beeinflusst. Unser Ziel ist es, wissenschaftliche Evidenz zu den Themen Umwelt- und Gesundheitsschutz so aufzuarbeiten, dass sie Eingang findet in ebendiese. Als Bindeglied zwischen Gesundheitsfachberufen, Wissenschaft und Politik bringen wir vielfältige Akteurinnen und Akteure an einen Tisch, um in einem kollaborativen Prozess ein gemeinsames Verständnis von komplexen Herausforderungen der multidimensionalen planetaren Krisen zu erlangen und nachhaltige Lösungswege zu entwickeln. Dadurch wollen wir Zukunftsvisionen für ein resilientes, zugängliches, umweltfreundliches und finanzierbares Gesundheitssystem mit Vorbildfunktion und Strahlkraft in andere Sektoren befördern.
Wie bewerten Sie die aktuelle Politik der Bundesregierung? Berücksichtigt diese im erforderlichen Maße die Gesundheit von Mensch und Planet?
Im aktuellen Koalitionsvertrag sehen wir einige gute Ansätze, die den Zusammenhang zwischen der Verfassung des Planeten und der Gesundheit der Menschen und Tiere aufgreifen. Dazu gehört z. B. ein neuer nationaler Plan für Prävention, der entwickelt werden soll. Jedoch beschloss das Bundesverfassungsgericht, dass aktuelle Bestrebungen zur Emissionsreduzierung der Bundesregierung nicht ausreichen, um auch zukünftige Generationen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Es ist daher noch einiges zu tun.
Steigende Temperaturen führen zu gesundheitlichen Belastungen
Was ist aus Ihrer Sicht das aktuell größte Gesundheitsrisiko?
Das größte klimawandelbedingte Risiko für die Gesundheit der Menschen in Deutschland und Europa sind Hitzebelastungen, die früher auftreten und mit sehr hohen Temperaturen lang anhalten. Wie verheerend diese für die Bevölkerungsgesundheit sind und zu welchen Mehrbelastungen sie im Gesundheitssystem führen können, haben die vergangenen Sommer in Deutschland und vor allem die Hitzewellen 2021 in Kanada oder Südosteuropa gezeigt.
Wie begegnet die Politik diesem Risiko?
Auf Hitzebelastungen sind Gesundheitseinrichtungen und auch Kommunen noch nicht ausreichend vorbereitet, auch wenn wir in vielen Städten, Gemeinden und auf Ebene der Bundesländer Fortschritte sehen.
Was muss hier jetzt getan werden?
Wir brauchen verpflichtende Hitzemaßnahmenpläne in Einrichtungen des Gesundheitswesens und Hitzeaktionspläne auf kommunaler- und Landesebene. Sie sind der Schlüssel für einen effektiven Schutz der Bevölkerung. Langfristige Hitzeresilienz und der Schutz der Gesundheit bei akuter Hitze müssen Maßgabe und Ziel stadtplanerischer und baulicher Maßnahmen in Kommunen und Gesundheitseinrichtungen sein. Das bedeutet, dass es eine hohe Beteiligung unterschiedlicher Sektoren braucht: Kommunalverwaltung, Gesundheit, Stadtplanung und Bau, Verkehr, Feuerwehr, Rettungsdienste, Nachbarschaftsinitiativen, – um nur einige zu nennen. Konkrete Hilfestellungen gibt es z. B. hier.
Handlungsmöglichkeiten für Kommunen
In welchen Handlungsfeldern können Kommunen aktiv werden, um planetare Gesundheitspolitik voranzutreiben?
Die Bereiche, in denen die größten Gewinne für Klimaschutz und Gesundheit einzufahren sind, sind die aktive Mobilität (Gesundheit und Verkehr), Ausbau erneuerbarer Energien (Gesundheit und Energie) und pflanzenbasierte Ernährung (Gesundheit und Landwirtschaft) vor allem in der Gemeinschaftsverpflegung wie Krankenhäusern, Kitas und Schulen. Hier geht es darum, Gesundheitsakteure wie die Gesundheitsämter und Akteure der kommunalen Gesundheitsförderung und Prävention dahingehend zu befähigen, an Verkehrs-, Energie- und Ernährungsdebatten und -entscheidungen teilzuhaben. Denn meistens fehlt genau dort die Gesundheitsperspektive.
Muss eine planetare Gesundheitspolitik auf kommunaler Ebene von den Gesundheitsämtern gesteuert werden oder braucht es hier eine disziplinübergreifende Zusammenarbeit mit allen kommunalen Verwaltungsbereichen?
Gesundheitsämter allein können z. B. den Hitzeschutz in allen Lebenswelten wie Kommune, Schule, Betrieb etc., nicht sicherstellen – dazu braucht es viele und unterschiedliche Akteure. Es braucht aber in jedem Fall eine Stärkung der Gesundheitsämter für diesen Bereich, z. B. durch einen klaren gesetzlichen Handlungsauftrag für klimawandelbedingte Gesundheitsrisiken in den Gesundheitsdienstgesetzen der Länder sowie besserer personeller und finanzieller Ausstattung der Gesundheitsämter. Entscheidend ist, dass Gesundheitsperspektiven aktiv eingebunden werden und eine disziplin- und sektorübergreifende Koordinierung mit allen kommunalen Verwaltungsbereichen angestrebt wird, bei der Gesundheit nicht fehlen darf.
Vielen Dank für das Gespräch!