Verschneites Rad auf Radweg Masson-Simon@EnvatoElements
Verkehr 4. Dezember 2024

Schneefreie Radwege für Lübeck dank Feuchtsalz

Überall in Deutschland nehmen die Winterdienste ihre Bereitschaft auf. Die Fahrzeugflotte wird technisch geprüft und überholt, Touren geplant und Streugut geladen. Und auch in Lübeck stellen sich die Entsorgungsbetriebe der Hansestadt (EBL) auf mögliche Schneefälle ein. In diesem Jahr erwartet die Lübecker hier sogar ein besonderes Winterdienst-Konzept für die Radwege der Kommune. Hierzu sprachen wir vor Ort mit Markus Petersen, dem Abteilungsleiter Straßenreinigung und Winterdienst am Standort in der Malmöstraße.

Herr Petersenin Lübeck hat der Fahrradverkehr eine lange Tradition. Etwa jede fünfte Ortsveränderung der Wohnbevölkerung wird per Velo zurückgelegt. Als Entsorgungsbetriebe und damit als Instandhalter des Fahrradnetzes mit 165 km haben Sie hier eine herausfordernde Aufgabe. Was tun Sie, damit Lübeck eine fahrradfreundliche Stadt bleibt? 

Unabhängig von der Jahreszeit haben wir den Auftrag von der Stadt, die Rad- als zu gewährleisten. Hierzu gehören unter anderem selbstverständlich die Sanierung von defekten Abschnitten, die Wartungvon Signalen und Verkehrsschildern, die Entlastung von Knotenpunkten durch Neubau und die Schaffung von Parkmöglichkeiten im Innenstadtbereich. Beispielsweise eröffnen wir nächstes Jahr in den Linden Arcaden ein Fahrradparkhaus mit Platz für bis zu 800 Rädern. Dort wird es dann außerdem eine Fahrradwerkstatt, Ladesäulen für E-Bikes und Schließfächer geben. 

Kommen wir zu ihrem aktuellen Thema „Radfahren bei Schnee und vereisten Wegen in Lübeck“: Wie haben Sie denn bisher den Winterdienst für die Hansestadt gestaltet?

Bislang haben wir die Radwege bestmöglichst vom Schnee geräumt und Sand gestreut. So stumpft man die Oberfläche aber nur ab. Das über den Tag entstandene Schmelzwasser verfriert durch den erneuten Frost in den Nächten zu Eispanzern, eine Art Verkrustung. Hinzu kam, dass immer häufiger Bürgerbeschwerden verschiedenster Art bei uns eingingen. Der Sand ist zwar gesiebt, aber viele Fahrradreifen waren nach Benutzung durch den spitzen Anteil im Streugut platt. Ich nehme es vorweg: Mit auftauenden Mitteln passiert das alles nicht.

Außerdem ist noch zu erwähnen, dass in der Vergangenheit das aufgebrachte Streugut (Sand) während und nach dem Winter mühsam und kostenintensiv wiederaufgenommen und entsorgt werden musste.

Weil die Politik in Lübeck mit der Maßgabe an die EBL herantrat, dass alle Fahrradwege ganzjährig sicherbefahrbar sein müssen, durften Sie und ihr Team umdenken und es kam zum neuen Ansatz für den Winterdienst, der perfekt auf die Anforderungen der Stadt passt?

Den perfekten Winterdienst gibt es nicht, aber wir wollten alle mehr als die Sandstreuung aufgrund der oben genannten Defizite. Der Ansatz meines Chefs war von Anfang an: Wenn wir etwas Neues machen, dann wollen wir es so, dass es für alle passt und dass wir vorab alle Möglichkeiten geprüft haben, bevor etwas Neues etabliert wird. Wir wollten mit dem Konzept der Politik Entscheidungsgrundlage geben, ob die Kommune diesen Weg mit uns geht oder nicht. Dabei stand der Gedanke eines sicheren Radwege-Konzepts im Vordergrund – auf der Suche nach einer Lösung, die man dann auch mit allen Konsequenzen gemeinsam durchhält.

Pilotprojekte und Austausch mit anderen Kommunen

Herr Petersen, wer die Wahl hat, hat die Qual, oder zumindest braucht man eine Informationsbasis, um eine Entscheidung zu treffen. Wie sind Sie bei der Suche nach dem geeigneten Streuverfahren vorgegangen?

Dem Entschluss für den Einsatz von FS 50 auf den Lübecker Radwegen gehen ein 3,5 Jahre langes Abwägen von Pro- und Kontra-Listen sowie viele Pilotprojekte voraus. Selbstverständlich haben wir nach rechts und links geschaut, deshalb haben wir für das neue Winterdienst-Konzept auch über drei Jahre gebraucht. Nicht immer hilft der innerdeutsche Schulterblick: Im Allgäu wird beispielsweise nur geräumt. Dort fährt niemand Rad, wenn es viel geschneit hat. Hier sprechen wir aber auch von anderen Schneemengen als bei uns im Norden. 

Wir haben uns beim VKU kundig gemacht, Fachlektüre gewälzt, Kollegen anderer Kommunen konsultiert, Hersteller von Streumitteln befragt und nahezu jede Option praktisch geprüft, beispielsweise auch Ameisensäure. Das Ganze wurde durch uns dannsauber und sachlich analysiert und die Pilotprojekte gründlich ausgewertet. Und unsere Erkenntnis war, dass FS 50 die beste Option für uns ist.

Was beinhaltet das neue Winterdienstkonzept mit FS 50 im Detail? 

Beim sogenannten Feuchtsalzstreuverfahren (FS) kombiniert man die Vorteile der beiden Streustoffe Trockensalz und Salzlösung miteinander und erreicht so eine schnellere Wirkung und geringere Wehverluste bei gleichzeitiger Verwendung geringerer Salzmengen und höherer Wirksamkeit. „FS 50“ bedeutet, dass beide Streustoffe zu jeweils 50 Prozent vermischt sind. Das trockene Auftausalz wird vor dem Streuen mit einer Salzlösung (Sole) angefeuchtet. Als Sole finden Natriumchlorid (NaCl), Calciumchlorid (CaCl2) oder Magnesiumchlorid (MgCl2) Verwendung. 

Feuchtsalzstreuverfahren in der Praxis

Der Einsatz von Sole im Winterdienst gewinnt auch in anderen Städten immer mehr an Beliebtheit. Was sind hier die Vorteile? 

Zunächst muss man sagen, dass bereits vor uns andere Kommunen gute Erfahrungen mit dem Einsatz von Feuchtsalz gemacht haben, aber in einem anderen Mischverhältnis. In vielen Teilen des Landes wird heutzutage flächendeckend mit der sogenannten FS-30-Technik gearbeitet. Beim Einsatz von FS 100 auf Autobahnen oder Radwegen, wie in Rostock, gibt es zum Beispiel ein Problem, denn wenn die Temperatur über 7 Grad Celsius Minus steigt, schafft man sich seine eigene Eisbahn. Also für uns nicht die geeignete Lösung. Deshalb haben wir uns für das Mischverhältnis 50/50 von Lauge und Salz entschieden, weil es bei allen Temperaturen und bei allen Varianten von Wintererscheinungen wie Reifglätte, Schnee oder Eisregen funktioniert. 

Hervorzuheben ist, dass der Tauprozess mit FS 50 tatsächlich sofort nach dem Auftragen beginnt und schnell die Radwege von Eis befreit. Bei kritischen Wetterlagen kann das Feuchtsalz auch präventiv aufgebracht werden und einer Vereisung vorbeugen. Die gute Haftung ist ein weiterer Vorteil, hier kommt es nicht wie bei Sand oder Streusalz zu Verwehungen. Wir gehen hier mit einem System an den Start, das noch niemand ausprobiert hat. 

Wie wird das Ganze aufgetragen und wie steht es mit der Umweltverträglichkeit?

Das Feuchtsalz wird ganz fein und in geringen Mengen dosiert versprüht und deshalb verteilt es sich wesentlich besser als festes Salz. Da Feuchtsalz, wie oben beschrieben, nicht verweht wird, gibt es keinerlei Rückstände an Bäumen, in Wiesen und Feldern. Trockensalz bleibt zum Beispiel auch an Tierpfoten haften und führt oft zu Entzündungen, das kann bei der Feuchtsalzstreuung nicht passieren. 

Unumstritten ist, Salz ist nicht die beste Lösung für Flora und Fauna, aber mit FS 50 ist ein Kompromiss gefunden zwischen Sicherheit und . Wir haben in der Testphase immer wieder Beprobungen gemacht, die Umweltbehörde und andere Dezernate der Stadt in die Ergebnisse mit einbezogen. Uns war es als EBL immer wichtig, gegenüber der Kommunalpolitik mit Transparenz und einer Kosten-Nutzen-Rechnung zu überzeugen. Und wir freuen uns sehr über unsere Lübecker Politik, dass hier alle Entscheider diesen Weg mitgegangen sind. Denn wenn man als erste Kommune so etwas einführt, muss man mutig sein.

Alternative Antriebe im Winterdienst

Herr Petersen, welche Neuerungen erwarten die Lübecker Bürgerinnen und Bürger noch in diesem Winter?

Beim neuen Winterdienst-Konzept gab es sehr viele Faktoren, die wir beachten mussten. Beispielsweise die technischeAusstattung unserer Fahrzeugflotte. Bevor man so eine Entscheidung wie wir trifft, muss man sich auch sicher sein, dass man nicht den ganzen Fuhrpark umstellt und dann scheitert. In den Ausschreibungen haben wir gemerkt, dass das FS 50-Verfahren für die Fahrzeughersteller neu ist. Hier gab es auch engen Austausch, da diese das auch noch nicht so umgesetzt hatten. Wir haben letzten Winter mit zwei Fahrzeugen die Streumethode probiert und sind seitdem überzeugt. Zwei elektrische Wagen haben wir deshalb jetzt selbst angeschafft und 20 weitere Fahrzeuge für diese Saison geleast. Wir testen diesen Winter den Einsatz von elektrischen Multifunktionsfahrzeugen und schauen, wie das alles funktioniert. Bislang gibt es deutschlandweit noch wenig Erfahrungen mit alternativen Antrieben im Winterdienst, die Fahrzeughersteller sind ebenfalls gespannt.

Ein weiteres Projekt ist unsere Rufbereitschaft für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hier sind wir schon sehr gut aufgestellt über Telefonketten. Wir arbeiten aber an einem Alarmierungssystem via App, angelehnt an das der Feuerwehr. Auch hier gilt: Eine Pilotphase wird zeigen, ob es funktioniert. Zukünftig könnte es so sein, dass ein Knopfdruck am Computer die Kette auslöst und alle schnell über den notwendigen Einsatz informiert werden.

Welches Versprechen gibt die EBL ihren Bürgerinnen und Bürgern in diesem Winter

Alle Fahrradwege sind künftig innerhalb von drei Stunden nach Kälteeinbruch vom Schnee und Eis befreit – das Versprechen wollen wir den Bürgerinnen und Bürgern geben. Ich kann das sagen, weil ich vom Gesamtkonzept äußerst überzeugt bin – von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von der FS 50-Methode und von den Streufahrzeugen.Gefühlt schaut jetzt die gesamte Bundesrepublik auf uns und alle sind neugierig, ob wir mit unserem Konzept erfolgreich sind. Für uns steht eines fest, in Lübeck bleibt in diesem Winter der Sand am Ostsee-Strand. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Lübeck, Hansestadt

Zur Kommunenseite
Bundesland Schleswig-Holstein
Einwohner 217.198 m: 104.371, w: 112.827
Größe 214.19 km²
1014 Einwohner je km²
Merkmale Städte / Wirtschaftsstandorte mit sozioökonomischen Herausforderungen
Markus Petersen Abteilungsleiter Straßenreinigung und Winterdienst EBL

Markus Petersen

  • 2011 als Quereinsteiger im gewerblichen Bereich der Straßenreinigung und Winterdienst der Hansestadt Lübeck tätig
  • 2014 Wechsel in die Verwaltung der Straßenreinigung und Winterdienst der Hansestadt Lübeck in den Bereichen Sachbearbeitung, Disposition und Tourenplanung und anschließender stellvertretender Leitung der Abteilung
  • 2023 Beförderung zum Abteilungsleiter Straßenreinigung und Winterdienst
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