Landkreis Görlitz ist Vorreiter in der Digitalisierung
Herr Gampe, der Landkreis Görlitz geht mit großen Schritten voran beim Thema Digitalisierung. Auf dem Deutschen Kämmerertag Anfang September in Berlin sprachen sie über ein Modernisierungsprogramm, das sich Ihr Landkreis auferlegt hat. In welche Bereiche hat „Verwaltung 4.0“ bereits Einzug gehalten und wie sehen weitere Maßnahmen aus?
Digitalisierung geht nicht ohne entsprechende IT-technische Strukturen, die sicher und stets verfügbar sind. Wir haben deshalb in Niesky ein geo-redundantes Rechenzentrum aufgebaut, um für den Notfall gewappnet zu sein und bei Ausfall unseres Rechenzentrums in Görlitz weiter arbeitsfähig zu bleiben und keine (allenfalls geringe) Datenverluste hinnehmen zu müssen.
Um die Verwaltungsarbeit zu verbessern und insbesondere die gemeinsame Fallbearbeitung ohne große Zeitverluste zu ermöglichen, führen wir seit 2012 sukzessive die E-Akte ein. Gekoppelt mit der zentralen Posteingangsverscannung („E-Poststelle“), können wir in sehr vielen Bereichen bereits nahezu papierlos arbeiten.
Durch die Einführung der E-Akte sind wir auch in der Lage, unseren Mitarbeitenden mobile Arbeit und Telearbeit zu ermöglichen, was sehr großen Anklang findet und uns gut durch die Lockdowns und Quarantänen der Pandemie gebracht hat.
Wir haben ein Bewerberportal online geschalten, so dass wir es potenziellen zukünftigen Mitarbeitern sehr leicht machen, sich bei uns zu bewerben, da wir Ihnen die Zusammenstellung und Zusendung einer Bewerbungsmappe ersparen. Durch die Speicherung der Daten in einer zentralen Datenbank können die nachfolgenden Workflows auch digital abgebildet werden – bis hin zum papierlosen Bewerbungsgespräch. Auch die Einbindung der Fachämter ist so deutlich leichter.
Um große Datenmengen intern und extern auszutauschen, haben wir die „Lucky cloud“ im Einsatz, welche einen gesicherten Raum zum Transfer von großen Datenmengen schafft.
Weitere Maßnahmen zielen auf Digitalisierung der internen Bereiche ab, wie z. B. die Einführung einer Software für die Liegenschaftsverwaltung oder für das Fördermittelmanagement. Aber auch der elektronische Rechnungsworkflow (nicht nur Posteingang) befindet sich derzeit in der Implementierung.
Die Umstellung auf digitale Strukturen verspricht vor allem mehr Nachhaltigkeit und effizienteres Arbeiten. Welche Erfahrungen haben Sie bei der Umsetzung Ihres Programms in diesen beiden Punkten bisher gemacht?
Die Zusammenarbeit in verteilten Teams, die aufgrund unserer Vielzahl an Standorten zum Alltag gehört, wird definitiv effizienter, wenn Unterlagen zentral in der E-Akte oder einer Datenbank abgelegt sind und von allen jederzeit abgerufen und bearbeitet werden können. Im Zusammenspiel mit der Möglichkeit, Telefon- oder Videokonferenzen durchzuführen und dabei den Bildschirm zu teilen, verkürzen sich Warte- und Wegezeiten und damit verbunden natürlich auch Reisekosten.
Weniger Dienstfahrten, weniger „Papier“ im Büro – das ist definitiv nachhaltiger und schont die Umwelt. Um insbesondere Papier zu sparen, müssen aber die kompletten Workflows möglichst reibungsfrei und digital abgebildet werden. Es reicht nicht, wenn beispielsweise die Bürgerin oder der Bürger einen Online-Antrag ausfüllt und wir diesen ausdrucken, um die Daten dann in das Fachverfahren abzutippen.
Um solche schlanken Workflows zu erzielen, gehen bei uns die Einführung der E-Akte und die Etablierung eines hausweiten Prozessmanagement Hand in Hand. Das bedeutet, dass wir vor der Einführung der E-Akte in einem Bereich die bereichsspezifischen Prozesse aufnehmen, analysieren und als digitale Sollprozesse modellieren.
Schließlich wollen wir vermeiden, ineffiziente analoge Prozesse in ineffiziente digitale Prozesse zu überführen. Dieses Vorgehen ist sehr aufwändig, aber mehr als 50 Prozent unserer Mitarbeitenden arbeiten mittlerweile mit der E-Akte.
Neben den vielen Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, sind es am Ende die Menschen, auf die es ankommt. Was machen Sie im Landkreis, um alle Mitarbeiter bei der Umsetzung Ihres Modernisierungsprogrammes mit ins Boot zu holen?
Da haben Sie völlig recht. Essentiell für das Gelingen des Programmes ist, dass unsere Mitarbeitenden in dessen Umsetzung eingebunden werden, denn sie sind der Motor der Verwaltung und müssen sich letztlich auch mit entwickeln und verändern.
Ein eigenes Projekt kümmert sich um die vielen Facetten des Personalmanagements. Dieses ist in sechs Teilprojekte unterteilt. Das Teilprojekt „Personalentwicklungskonzept“ setzt Maßnahmen zu Personalentwicklung, Arbeitgebermarketing und Nachwuchsförderung um.
Für die physische und psychische Gesundheit unserer Mitarbeiter sorgt das Projektteam „Betriebliches Gesundheitsmanagement“. Neben dem Aufbau der notwendigen organisatorischen Strukturen werden konkrete gesundheitsfördernde Maßnahmen umgesetzt. Im Rahmen dieses Projektes fand auch die diesjährige Mitarbeiterbefragung statt.
Der Bedarf an Weiterbildung und Weiterqualifizierung ist im Hinblick auf die Dynamik in der Digitalisierung sehr hoch, so dass wir hierfür eine „E-Learning Plattform“ als zentrale Wissens- und Lernplattform einrichten. Aber uns ist auch bewusst, dass sich die Stellenstrukturen perspektivisch verändern werden und eine Weiterqualifizierung nicht immer möglich sein wird. Hierfür haben wir das Teilprojekt „Personalbedarfsmanagement“ ins Leben gerufen, um verschiedene Szenarien zu untersuchen und Lösungsmöglichkeiten auszuarbeiten.
Ganz wichtig bei Veränderungen ist Vertrauen und eine möglichst aktive Einbindung und Beteiligung der Mitarbeitenden in die Veränderungsprozesse. So möchten wir für eine positive Unternehmenskultur, ein vertrauensvolles Miteinander und ein starkes Wir-Gefühl sorgen, indem wir die Entwicklung unserer „Unternehmenskultur“ aktiv befördern.
Mit einer Kommunikationskampagne sorgen wir darüber hinaus dafür, dass alle Kolleginnen und Kollegen kontinuierlich informiert werden.
„Zuhause aufs Amt gehen“ ist für viele Bürger ein attraktiver Service, der Zeit im Alltag spart. Doch nicht für jeden sind Online-Dienste eine praktische Sache. Der Altersdurchschnitt im Landkreis Görlitz ist mit 49,5 Jahren vergleichsweise hoch. Wie erreichen Sie auch ältere Menschen auf digitale Weise?
Mit der Digitalisierung unserer Gesellschaft sind die Anforderungen unserer Bürgerinnen und Bürger nach digitaler Leistungserbringung gestiegen, was auch bereits gesetzlich untermauert wurde (z. B. Onlinezugangsgesetz (OZG), E-Government-Gesetz). Wir sagen: Umstieg auf Leistungserbringung online? Ja! Aber: Der persönliche Kontakt ist auch nach wie vor sehr gefragt und muss fortbestehen. Neben Online-Angeboten werden für die persönliche Beratung Bürgerbüros in der Fläche geschaffen. Je nachdem, um welche Leistung es sich handelt, werden die „Kanäle“ unterschiedlich beansprucht. Das hat nicht zwangsweise etwas mit dem Alter der Bürgerinnen und Bürger zu tun.
Das erste Bürgerbüro wurde in Löbau im September 2020 eröffnet. So wird den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, bei weniger als 20 km Fahrtweg mit uns persönlich und „live“ sprechen zu können. Die Bürgerbüros decken neben der Beratung vor allem die Kerndienstleistungen des Führerscheinwesens und der Kfz-Zulassung ab, aber auch die qualifizierte Antragsannahme. Um Wartezeiten zu verkürzen und für eine optimale Auslastung zu sorgen, können unsere Bürgerinnen und Bürger Termine auch online buchen. Essentiell für das Gelingen der Bürgerbüros ist die Teilung der Verwaltungsprozesse in „Beratungstätigkeiten“, die mit den Bürgern, und „Bearbeitungstätigkeiten“, die ohne die Bürger stattfinden können – nämlich ungestört und sicher am Büroarbeitsplatz bzw. in mobiler Arbeit oder Telearbeit. Grundvoraussetzung sind auch hier die E-Akte und saubere Prozesse.
Viele Städte und Gemeinden stehen vor allem durch die Corona-Krise finanziell schlecht da. Auch der Landkreis Görlitz schreibt rote Zahlen. Woher kommt das Geld für die Finanzierung der Digitalisierungsmaßnahmen?
Die Finanzierung der Digitalisierungsmaßnahmen ist tatsächlich nicht einfach. Denn ehe ein Effizienzgewinn spürbar wird, muss reichlich investiert werden. Dabei steht es außer Frage, ob wir dies wollen – Digitalisierung lässt sich nicht vermeiden und es ist für uns nie die Frage gewesen, ob wir hier investieren. Vielmehr entscheiden wir bewusst wie, wann, was und in welcher Geschwindigkeit wir digitalisieren.
Zur Unterstützung unseres Vorhabens haben wir Fördermittel beim Freistaat Sachsen beantragt und bewilligt bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch!