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Energie Verkehr Wasser 6. Mai 2025

Stadtentwicklung in Rostock: Wertschöpfung durch Klimaschutz

Seit April 2016 ist Ute Fischer-Gäde bei der Stadt Rostock beschäftigt. Zuerst war sie für das Amt für Stadtgrün, Naturschutz und Friedhofswesen zuständig, seit November 2022 leitet sie den Senatsbereich für Stadtplanung, Bau, Klimaschutz und Mobilität. Im Interview sprachen wir mit ihr über zentrale Themen der Stadtentwicklung, Großprojekte in Rostock und Vertrauen in die Verwaltungsarbeit.

Liebe Frau Fischer-Gäde, wie kamen Sie zum öffentlichen Dienst und was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?

Während meiner früheren Arbeit als Landschaftsarchitektin – erst angestellt und später selbstständig – habe ich mich intensiv mit Beteiligung und sozialraumorientierter Stadtentwicklung beschäftigt und auch mit der Frage: Wie arbeitet man mit Menschen und Organisationen zusammen? Irgendwann wurde ich dann angefragt und ermutigt, in den öffentlichen Dienst zu gehen und mich dort mit meiner Erfahrung einzubringen. Ich wollte das System sozusagen von innen kennenlernen und zu schauen, was kann man hier mit den Kolleginnen und Kollegen gemeinsam gestalten, wie kann man hier unterstützen.

Als gelernte Landschaftsarchitektin war meine erste Führungsaufgabe die Leitung für das Amt für Stadtgrün. Schon da hat es mir großen Spaß gemacht, Gestaltungsspielräume, die man in der Verwaltung hat – wenn sie auch nicht immer groß sind –, zu nutzen und Erwartungen von außen zu erfüllen. Außerdem hat es mir auch Spaß gemacht, Wünsche der Kolleginnen und Kollegen an die eigene Arbeit in Prozesse zu überführen. Das fühlt sich ein bisschen so an, wie die Dirigentin eines Orchesters zu sein – man muss jedes Instrument ernst nehmen, jeden Ton genau hören und auf ein gutes Zusammenspiel achten. Das ist es, was mir an meiner Arbeit auch immer noch sehr gefällt.

In meiner jetzigen Funktion als Senatorin ist mit der Politik nochmal ein großer Player dazugekommen. Diese Interaktion von Bürgerinnen und Bürgern, Verwaltung und Politik zu moderieren, fachlich zu steuern, zu begleiten und zu führen, bereitet mir viel Freude, ist aber zweifellos auch herausfordernd.

Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen in Ihrem Arbeitsbereich?

Der Anstieg des Meeresspiegels ist eine große Aufgabe, die wir stadtplanerisch zu lösen haben, damit auch nachfolgende Generationen noch gut in Rostock am Meer leben können. Auch Starkregenereignisse und Trockenperioden sind relevante Themen bei uns. Außerdem stellt sich die Frage: Wie können wir als Stadt räumlich wachsen? Viele Menschen wollen in die Stadt ziehen und kurze Wege sowie geringe Fahrzeiten haben. Da wir in Rostock nicht stark nach außen wachsen können, ist das Thema Innenentwicklung bei uns ganz groß. Hier geht es darum, auf den begrenzten Flächen, die uns zur Verfügung stehen, bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen zu schaffen und gleichzeitig ausreichend Platz für wirtschaftliche und unternehmerische Entwicklungen und Aktivitäten zu bieten.

An welchen konkreten Projekten arbeiten Sie hier?

Während meiner Zeit im Amt für Stadtgrün haben wir damit begonnen, ein Umwelt- und Freiraumkonzept zu erarbeiten. Hier haben wir uns intensiv mit der Frage beschäftigt: Wie gelingt es uns, nach innen zu wachsen, alle Nutzungsbedarfe unterzubringen und das Thema Umwelt und Freiraum, also Lebensqualität, in einer dichter werdenden Stadt weiterhin zu stärken? Aktuell sind wir dabei, das Konzept in die Stadtentwicklung und Stadtplanung zu implementieren.

Was mich als Senatorin sehr gereizt hat, zu begleiten, waren außerdem unsere Großprojekte, die wir aus der abgesagten BUGA 2025 initiiert und weiterverfolgt haben. Da ist einmal die Umgestaltung des Rostocker Stadthafens, der viel Gestaltungsspielraum bietet. Hier haben wir ein tolles Konzept entwickelt. Im Zuge dessen entsteht auch eine neue Brücke über die Warnow, die den Stadtteil Gehlsdorf mit dem Stadtzentrum verbinden soll, und das neue WarnowQuartier. Das alles wollen wir jetzt gemeinsam mit dem Bund und dem Land Mecklenburg-Vorpommern umsetzen. Wir sind hier aktuell in den letzten Zügen der Planung, beim Stadthafen haben die ersten Bauarbeiten bereits begonnen.

In Zeiten prekärer Haushaltskassen sind das sicher ambitionierte Vorhaben. Aber wir halten daran fest. Und ich glaube, das wird ein echter Motor für die Stadtentwicklung.

Kurze Wege für die 15-Minuten-Stadt

Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um nachhaltige Mobilität in Rostock auszubauen?

Eines unserer großen Ziele im Fachbereich Mobilität ist es, die 15-Minuten-Stadt zu entwickeln. Mit rund 200.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist Rostock nicht groß, dennoch haben wir immer noch lange Wege. Jeden Tag pendeln etwa 55.000 Menschen in die Stadt. Für diese und auch für die Menschen, die sich innerhalb der Stadt bewegen, brauchen wir attraktive und klimafreundliche Fortbewegungsmöglichkeiten. Wir sind vorrangig eine Autostadt, wollen aber Angebote und Anreize schaffen, um das Auto stehen zu lassen.

Eine Maßnahme hier ist die Warnowbrücke, die eine reine Fuß- und Radwegbrücke ist. Mit dieser Verbindung wollen wir das Thema klimafreundliche Mobilität anschieben und verstärken. Mit dem WarnowQuartier gibt es außerdem ein Modellvorhaben des Bundes, in dem ein autoarmes Quartier mit einer guten soziale und wirtschaftlichen Durchmischung ermöglicht werden soll. Auch der neue Stadthafen wird über eine attraktive Radwegeverbindung verfügen.

Mit wem arbeiten Sie als Stadt bei der Planung und Umsetzung dieser Projekte zusammen?

Uns war es wichtig, die Innovationen und Zielbilder, die jedes einzelne Projekt in sich trägt, planerisch qualitätsvoll auf den Weg zu bringen. Dafür haben wir Freiraum-Wettbewerbe und städtebauliche Wettbewerbe durchgeführt. Bei der Projektsteuerung begleitet uns das städtische Unternehmen Rostocker Gesellschaft für Stadterneuerung,Stadtentwicklung und Wohnungsbau (RGS), zusätzlich arbeiten wir noch mit ganz vielen Planungsbüros zusammen.Das Ganze ist eine große fachliche Familie, die aber allein schon in der Planung große Herausforderungen mit sich bringt und Schnittstellen braucht, um gut miteinander zu funktionieren.

Gab es besondere Aspekte, die während der Planung berücksichtigt werden mussten?

Bei der Gestaltung von Stadthafen, Brücke und Quartier müssen wir natürlich den mitdenken. Das ist eine wesentliche Aufgabe, da wir – wie bereits angesprochen – in den nächsten 50 bis 80 Jahren mit einem Meeresspiegelanstieg von einem Meter rechnen müssen. Prognosen zeigen, dass das gegebenenfalls sogar schneller gehen wird.

Hierbei geht es aber auch nicht allein um einen oberirdischen Schutz vor Sturmfluten. Auch die Binnenentwässerung beschäftigt uns, denn Sturmflut und kommen auch mal zusammen – und dann muss die Stadt auch unterirdisch entwässert werden. Hier eine gute Lösung zu finden, ist eine wirklich ambitionierte und fachlich anspruchsvolle Aufgabe, sowohl planerisch und baulich als auch gestalterisch. Das erfordert Zeit, die man sich auch nehmen muss. Denn am Ende brauchen wir Zeit, um Fehler zu beheben, und das kostet dann auch wieder Geld.

Kommunikation mit Bevölkerung ist vielfältiger geworden

Wie nimmt die Stadtbevölkerung diese Aktivitäten wahr und wie informieren Sie diese darüber?

Das Thema, wie erreichen wir die Menschen der Stadt, beschäftigt mich gerade sehr. Vor 20 Jahren war es noch viel selbstverständlicher, dass sich die Menschen hier über die Lokalzeitungen, die im Briefkasten und dann auf dem Tisch zuhause lag, über lokalpolitische Vorhaben informiert haben. Das hat sich alles gewandelt. Kommunikation und Informationsvermittlung sind komplexer, schneller und flexibler geworden. Die Vielfalt der Kanäle hat zugenommen und wir merken, dass wir eigentlich sehr viel mehr Kanäle bespielen müssten, um eine umfassende Erreichbarkeit sicherzustellen.

An welchen Stellen können sich die Bürgerinnen und Bürger beteiligen?

Partizipation im Planungsprozess ist in den letzten Jahren nicht nur gewollt, sondern von den Menschen auch wirklich eingefordert worden. Im Zuge der Stadtentwicklungspläne für die BUGA wurde ein Leitfaden für Bürgerbeteiligung in Rostock entwickelt und es hat sich auch ein Beteiligungsbeirat gebildet. Der bringt sich jetzt bei jedem größeren Vorhaben in der Stadt mit ein – aktuell beispielsweise bei der Erarbeitung eines Kulturentwicklungsplanes.

Zudem haben wir sehr aktive Stadtteile und Begegnungszentren, die auch Bürgerinnen und Bürger mobilisieren. Je nach Thema ist die Beteiligungsintensität dann unterschiedlich hoch. Gerade Schulbau und Sanierung sind attraktive Themen, genauso wie Spiel- und Sportplätze. 

Wirtschaft und Klimaschutz zusammen denken

Kommen wir noch einmal den Klimaschutz zurück. Wie gelingt es Ihnen, diesen mit wirtschaftlichen Interessen in Einklang zu bringen?

Die Frage nach Wirtschaftlichkeit und als Wertschöpfung ist in Rostock ein großes Thema. Beides hängt auch eng miteinander zusammen: Um Unternehmen anzusiedeln, die eine starke lokale Wirtschaft ermöglichen, brauchen wir eine attraktive Stadt und gute Rahmenbedingungen. Dazu gehört auch Klimaschutz. Und der kostet Geld. Lange Prozesse übrigens auch.

Ich mache Ihre Frage mal an einem konkreten Beispiel fest: Wir sind eine der ersten Städte mit einer kommunalen – mittlerweile im vierten Umsetzungsjahr. Da geht es natürlich auch um die Erschließung klimafreundlicher Erzeuger und den Ausbau von Fernwärmenetzen – in Rostock werden etwa 65 Prozent der Häuser und Wohnungen mit versorgt. Die Frage ist dabei: Wie gelingt es uns, eine kommunale Wärmeplanung gemeinsam mit Stadtwerken umzusetzen und gleichzeitig die Wirtschaft mitzunehmen? Gleiches gilt auch für Themen rund um die Bauleitplanung.

Um Erwartungen verschiedener Beteiligter miteinander abzugleichen und Verständnis zu schaffen, noch bevor Maßnahmen geplant und umgesetzt werden, haben wir einen Wärmerat gegründet. Klimaschutz ist an dieser Stelle ein Dauerthema, weil alles, was wir tun, etwas mit Energie und Wärme zu tun hat. Die Menschen, die in diesem Rat sitzen, behalten bei allen Vorhaben die beiden Aspekte klimafreundliches Wirtschaften und Generieren von Mehrwerten im Blick und bündeln ihr Wissen und ihre Erfahrungen. Denn eine gute Flächen- und Standortentwicklung hat auch etwas mit Marktfähigkeit zu tun.

Gibt es eine Stadt, die für Sie Vorbildcharakter hat?

Da müssen wir nur übers Wasser schauen. Das ist schon manchmal etwas abgedroschen, aber in Skandinavien läuft vieles besser. Vorbildcharakter für mich haben dort Städte wie Kopenhagen oder Aarhus. Die sind auch klimatisch und hinsichtlich der Wohn- und Lebensverhältnisse gut mit Rostock vergleichbar. Dort finden viele Innovationen statt. Was mich aber noch mehr begeistert, ist der Mut, sich neuen Lösungen und Ansätzen zu widmen, etwas auszuprobieren und zu schauen, kommt das an oder nicht, und Ideen dann gegebenenfalls auch wieder zu verwerfen.

Das ist eine Haltung zur Planung, die mich begeistert, und die ich mir auch für uns als deutsche Verwaltung bis hin in die Wirtschaft herein mehr wünschen würde. Hier herrscht oftmals eine Angst davor, Fehler zu machen. So eine Haltung bremst uns aber aus. Wir dürfen auch mal testen, wir dürfen auch Fehler machen und das so zu kommunizieren, darf uns auch keine Angst machen. Da sind uns die Skandinavier wirklich weit voraus, weil sie es einfach machen.

Krankt es hierzulande weniger an fehlendem Geld als vielmehr an fehlendem Mut?

Was uns fehlt ist Vertrauen – insbesondere auch in die eigene Verwaltung. Das ist eine Erfahrung, die musste ich leider in den letzten sieben Jahren machen. Wir haben unglaublich kluge Köpfe, die hier in der Verwaltung arbeiten und auch gewillt sind, so manche Hürde zu nehmen. Dabei passieren manchmal natürlich auch Fehler. Aber grundlegende Themen wie Bürokratisierung und Gesetzgebung liegen nicht in der Kommune. Was ich vermisse, ist, dass wir alle mehr erkennen, dass Verwaltungen gute Wegbereiter sind.

Um im Bild des Theaters zu sprechen: Ein gutes Schauspiel gewinnt nicht nur durch die Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne, sondern auch durch eine gutes Bühnenbild und Licht, eine gute Regie und ein gutes Drehbuch. Alles, was hinter den Kulissen geschieht, trägt zu einer gelingenden Aufführung bei. Die Menschen, die dafür gesorgt haben, stehen aber in der Regel nicht auf der Bühne. Und so sehe ich die Verwaltung. Wenn tolle Projekte in unseren Städten entstehen, dann hat das auch etwas damit zu tun, dass die Verwaltung gute Arbeit leistet. Das muss stärker anerkannt werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Rostock, Hansestadt

Zur Kommunenseite
Bundesland Mecklenburg-Vorpommern
Einwohner 208.886 m: 102.911, w: 105.975
Größe 181.36 km²
1152 Einwohner je km²
Merkmale Großstädte und Hochschulstandorte mit heterogener sozioökonomischer Dynamik
Portrait Ute Fischer-Gäde, Stadtsenatorin Rostock

Dr. Ute Fischer-Gäde

• seit November 2022: Senatorin für Stadtplanung, Bau, Klimaschutz und Mobilität bei der Stadt Rostock

• 2016 bis 2022: Leiterin im Amt für Stadtgrün, Naturschutz und Friedhofswesen bei der Stadt Rostock

• Leitung eines eigenen Planungsbüros für Stadt- und Regionalentwicklung in Rostock

• Bereichsleitung Landschaftsarchitektur bei der INROS LACKNER SE in Rostock

• Lehrbeauftragte an den Universitäten Rostock und Greifswald

• 2008: Dissertation an der Universität Rostock zum Thema soziale und integrative Stadtentwicklungsplanung am Beispiel einer kinder- und jugendgerechten Freiraumentwicklung

• 1997: Studienabschluss als Diplom-Ingenieurin für Landespflege in Dresden-Pillnitz

• Studium der Landeskultur und Umweltschutz in Rostock sowie Freiraum- und Landschaftspflege in Wien

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