Sehr geehrter Herr Ringle, wir haben von dem Vorhaben gehört und sind begeistert. Wie kamen Sie auf die Idee, eine urbane Seilbahn in Heilbronn zu planen?
Wir beginnen mal bei der Notwendigkeit einer erweiterten urbanen Mobilitätsplanung: Zur Erschließung des im Norden Heilbronns entstehenden Innovationspark Künstliche Intelligenz (IPAI) soll das Gebiet für den Verkehr von Grund auf neu erschlossen werden. Dort werden 6.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Eine optimale Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr hat im Sinne einer nachhaltigen Erschließung deshalb eine hohe Bedeutung. Um das am besten geeignete ÖPNV-System für die Erschließung zu ermitteln, wurden eine Vielzahl von Verkehrssystemen in Betracht gezogen.
Am Ende der Prüfung blieb eine Anbindung per Bus und per Seilbahn als mögliche Option übrig. In einer Machbarkeitsstudie wurden verschiedene Varianten geprüft und eine Vorzugsvariante ermittelt. Um die Chancen auf eine Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) zu ermitteln, wurde eine vorläufige Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) durchgeführt. Die Vorzugsvariante erreichte einen Wert von 1,27 – ein Ergebnis, das stabil über dem Grenzwert von 1,0 liegt. Das heißt also, in erster Linie eine sehr faktenbasierte Entscheidung.
Was sind denn weitere Vorteile einer urbanen Seilbahn in Heilbronn?
Seilbahnen in der Stadt sind prinzipiell erst einmal ein innovatives Verkehrsmittel und passen perfekt in moderne ÖPNV-Konzepte. Sie verbinden zum Beispiel flächensparend das Stadtzentrum mit außenliegenden Quartieren und helfen Engpässe am Boden zu überwinden. Bisher ist keine Kommune im Land über die Idee und erste Machbarkeitsstudien hinausgekommen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das in Heilbronn jetzt gelingen kann. Wirwollten unsere Verkehrsprobleme unkonventionell angehen und neue Lösungen wagen. Die Seilbahn passt daher sehr gut zum neuen KI-Campus.
Urbane Seilbahnen sind außerdem energieeffizient, leise, barrierefrei und schnell zu bauen. Sie benötigen wenig Fläche und sind kostengünstig in Bau und Betrieb. Mit dieser Technik kann die Stadt einen komfortablen, verlässlichen und umweltfreundlichen Anschluss des Campus an bestehende Bahn- und Busnetze schaffen. Sie passt auch in unsere Nachhaltigkeitsstrategie, die wir mit unserer Bewerbung für den European Green Capital Award einmal mehr unterstreichen.
Welche Fürsprache und welchen Gegenwind erhalten Sie in der Stadt für diese Idee?
Die Reaktionen sind überwiegend positiv. Auch Land und Bund ermutigen uns, den Weg zu gehen. Im Gemeinderat wurde der Vorprojektbeschluss fast einstimmig (mit einer Gegenstimme) beschlossen, obwohl wir elf Fraktionen und Gruppierungen im Rat haben, somit sehr differenziert sind. Die Medien berichten positiv, aber natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Uns ist wichtig, auf die Menschen zuzugehen und sie bei diesem Projekt mitzunehmen. Für den Entschluss zum Bau bekommen wir deutschlandweit sehr viel Anerkennung und Lob: Heilbronn zeige damit Entscheidungsfreude und Entschlossenheit. In dem Zuge wird übrigens auch ein Radschnellweg ausgebaut werden, um eine weitere mobile Alternative zu bieten. Das kommunizieren wir den Bürgerinnen und Bürgern auch mit.
Wie verlief die bisherige politische und öffentliche Diskussion? Welche Schritte wurden bereits erfolgreich absolviert und welche stehen noch an, bevor die Seilbahn realisiert werden kann?
Wir sind ganz am Anfang bei der Grundlagenermittlung. Die nächsten Schritte drehen sich um die Klärung der Fördermöglichkeiten, die Vorplanung inklusive Architekturwettbewerb, dann die Entwurfsplanung und die Phase der Genehmigungsverfahren. Erst dann kommt die Ausführungsplanung und die eigentliche Bauphase.
Sie sprechen vom Planungs- und Genehmigungsprozess: Welche Fakten sind bereits jetzt zur Seilbahn bekannt?
Die Seilbahn wird über circa 4,6 km Fahrlänge geplant, direkt über dem Neckar und Gewerbeflächen. Sie verbindet den Hauptbahnhof über verschiedene Zwischenstationen mit dem KI-Park. In 15 Minuten ist man von der Anfangs- bis zur Endhaltestelle „geflogen“ – ganz ohne Stau. Die Seilbahn wird für die Bürgerinnen und Bürger in die normale ÖPNV-Ticketstruktur eingebunden. Man zahlt sozusagen nicht extra, sondern die Fahrt ist in der Monats- oder Tageskarte bereits inkludiert. Man hat quasi für seinen normalen Tarif eine Sightseeingtour über den Innenstadtbereich. Was das System betrifft, favorisieren wir daher eine Einseilumlaufbahn (EUB). Hier wird im Wettbewerb der Konzepte aber nach dem besten Nutzen-Kosten-Verhältnis entschieden.
Sind Sie mit anderen Städten in Deutschland in Kontakt, die den Bau einer urbanen Seilbahn prüfen –beispielsweise Bonn, Herne, Frankfurt/Offenbach, Mannheim/Ludwigshafen?
Seilschwebebahnen sind bundesweit im urbanen Umfeld bislang nur in Koblenz und Berlin in Betrieb. In Europa sind neue Anlagen urbaner Seilschwebebahnen unter anderem bereits in Brest und Toulouse entstanden, eine wird künftig in Paris entstehen. Wir sind mit Paris in Kontakt, wo noch in diesem Sommer eine Seilbahn in den Probebetrieb gehen soll, die vergleichbar ist mit unseren Seilbahnplänen. Das ist die aktuell modernste urbane Seilbahn und sie soll Ende 2025 in Betrieb gehen. Die geplante Heilbronner Bahn würde Baden-Württemberg auf die Liste dieser modernen Verkehrssysteme bringen. Seit 2022 fördert das Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (LGVFG) den Bau solcher Anlagen. In Heilbronn wird eine Umsetzung im Rahmen des GVFG-Programms des Bundes angestrebt.
Sollen bei Ihrer Seilbahn die Zugänge auch ebenerdig sein wie bei der Seilbahn Câble C1 im Großraum Paris? Bei der Gestaltung der Stationen wurde größten Wert auf den barrierefreien Zugang gelegt.
Sicher wird Barrierefreiheit auch bei unseren Plänen eine Rolle spielen. Vielleicht fliegt die Seilbahn für die Stationen auf eine ebenerdige Ebene und startet dann wieder in die Höhe.
Werden die Seilbahnstationen als Mobilitätshubs ausgebaut?
Die Seilbahn in Heilbronn wird als Teil des ÖPNV geplant, wie die einzelnen Stationen ausgebaut werden, ist noch offen. Ob die Seilbahn auch eine Rolle beim innerstädtischen Warenverkehr spielen wird, diskutieren wir ebenfalls in der nächsten Phase.
Lassen Sie uns noch über Kosten und Finanzierung der Seilbahn sprechen…
Als Leuchtturmprojekt übernimmt das Land Baden-Württemberg als ersten Schritt die Hälfte der Planungskosten mit einer Vorfinanzierung von vier Millionen Euro. Winfried Hermann, Verkehrsminister von Baden-Württemberg, steht hinter uns, weil das Land generell den Bau urbaner Seilbahnen als weitere Option im ÖPNV vorantreiben möchte. Schon heute existieren in Baden-Württemberg sieben Standseilbahnen im städtischen Umfeld, etwa in Stuttgart und Karlsruhe. In keinem anderen Bundesland gibt es mehr.
Mit dem IPAI-Campus in Heilbronn entsteht ja in den nächsten Jahren auch ein neuer Stadtteil im Norden der Innenstadt, der über das moderne Verkehrsmittel Seilbahn nicht nur über schnelle Verbindungen an städtische Verkehrsknoten angebunden, sondern in das bestehende ÖPNV-System integriert werden kann. Die Machbarkeitsstudie hat auch gezeigt, dass der Bau der Seilbahn geringere Kosten verursacht als der Ausbau der Stadtbahn in Heilbronn.
Nach der Planungsphase benötigen wir aber für die Umsetzung sicherlich einen dreistelligen Millionenbetrag, das ist klar. Wir können nur bauen, wenn wir weiterhin Förderungen von Bund und Land bekommen. Hier sind wir mit dem Bundesministerium im Gespräch. Was unser Personal intern betrifft, haben wir derzeit dreieinhalb neue Stellenausgeschrieben. Insgesamt suchen wir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die mit großen Infrastrukturprojekten im Verkehrsbereich Erfahrung haben.
Heilbronn setzt mit seinen innovativen Ideen Maßstäbe auch für andere Städte in Deutschland. Welche weiteren Pläne oder Wünsche haben Sie für die Gestaltung des innerstädtischen Verkehrs?
Zentrales Steuerungsinstrument für die nächsten Jahre ist das Mobilitätskonzept Heilbronn 2030, das vom Gemeinderat beschlossen wurde. Unser Ziel ist es, den Mobilitätsmix zu verbreitern und alternative Mobilitätsformen zu fördern. So wollen wir einen wichtigen Beitrag zur Minderung der CO2-Emissionen leisten. Zur Feinstaubreduzierung wurde in Heilbronn am 1. Januar 2009 die Umweltzone eingeführt. Zur Reduzierung der Stickstoffdioxidwerte hat die Stadt im Jahr 2018 den Masterplan Nachhaltige Mobilität auf den Weg gebracht. Wir würden uns freuen, wenn unser Seilbahn-Projekt andere Städte ermutigen könnte, auch über alternative Möglichkeiten zu Bus und Bahn nachzudenken.
Vielen Dank für das Gespräch!